Gunta Stölzl
1897 – 1983
Deutschland / Schweiz
Die berühmteste Weberin des Bauhaus ist die erste Meisterin in der Kategorie “Meisterklasse der Musterklasse”, welche hier bei Mønster Patterns vorgestellt wird. Ihr Portrait soll von vielen weiteren Biografien in der globalen textilen Industrie gefolgt werden.
Die 1897 in München geborene Gunta Stölzl war ab 1919 Studentin des Bauhaus in Weimar und wurde wenig später die erste und einzige weibliche Vollmeisterin. Am Bauhaus in Dessau wurde ihr die Leitung der Weberei übertragen. Zu ihren Lebzeiten war dies vermutlich ein außergewöhnlicher Erfolg und sie war in den männerdominierten Kreisen des Bauhaus mit Sicherheit nicht nur eine Ausnahmefrau, sondern vor allem ein Ausnahmemensch. Ein sehr interessanter Vortrag Ihrer Tochter Monika (Bauhaus: Art as Life – Gunta Stölzl: A Daughter’s Perspective) stellt anhand von Briefen und Tagebucheinträgen scharf heraus, dass die Weberei des Bauhaus in Dessau allerdings aus Kalkül unter die Leitung einer Frau gestellt wurde: nämlich damit die weiblichen Stundentinnen aus anderen Kursen ferngehalten wurden, da die männliche Schulleitung eine “Verweiblichung” ihrer renommierten Schule fürchtete. (Ein Missstand, wie wir ihn in den kreativen Berufen teilweise leider bis heute vorfinden… aber das ist ein anderes Thema.)
Um so erfreulicher ist die Tatsache, dass Gunta Stölzls Weberei offenbar die lukrativste, d.h. die finanziell erfolgreichste Klasse des Bauhaus war.
Schaut man sich die Werke der Weberin an, so sieht das erfahrene Auge und der wache Geist, dass hier ein Mensch mit außergewöhnlichem Talent am Werke war. Arbeiten, die teilweise völlig zu Unrecht als “Dekoration” abgestempelt wurden. Im Gegensatz zur Malerei verhält sich das Weben um einiges komplexer. Möglicherweise bedarf kaum ein anderes (Kunst-)Handwerk so viel Konzentration, so viel intuitiver und mathematischer Fähigkeiten, wie das Weben – insbesondere die Jacquard Technik. Die Fäden müssen hier vor dem Verweben komplex eingefärbt und die Motive vorab aufwändig berechnet werden – in einer Zeit ohne Taschenrechner und Computerprogramme: ein wahrer Meisterakt.
So entstanden unter Guntas Hand gewebte Kunstwerke. Einzelstücke, die von kosmischer Geduld zeugen.
In der heutigen Zeit, wo wir mit Farben, Formen, Produkten und Bildern nur so überschüttet werden, dürfen wir nicht vergessen die “alten Werke” in ihrem zeithistorischen Kontext zu erfassen.
Was sich heute teilweise in wenigen Minuten reproduzieren lässt, war damals von brisanter und mutiger Neuheit. Von visionärer Kraft.
Gunta Stölzls Arbeit ist ein wunderbarer Beweis dafür, dass es im besten Fall nur einer kleinen Gruppe von Menschen bedarf, welche die Dinge anders sehen, um für darauffolgende Generationen stil- und geistesprägend zu sein. Dem Bauhaus ist es gelungen über seine zeitlich begrenzte Existenz hinaus eine neue Welt zu formen. Weil sich eine Gruppe von Menschen zusammengefunden hat, die die Dinge anders sahen, als sie bis dato dargestellt wurden.
Menschen, die ihrer Zeit voraus waren – so wie Gunta Stölzl.
Geprägt von dem Bauhaus Mythos und seinem Manifest, in dem sie das ausleben konnte, woran sie am allermeisten interessiert war: nicht an der Übertragung des Subjektes als solchem, sondern an dessen Interpretation und seiner Verortung im großen Ganzen.
Gunta Stölzl und auch das Bauhaus haben mich seltsamerweise erst nach meinen Studien vor ca. 5 Jahren erreicht. Während ich über viele Jahre einfach nur am Machen und am Gestalten war, haben mich irgendwann diverse Personen auf Gunta Stölzl aufmerksam gemacht und meine Arbeit mit der ihren verglichen. Darüber war ich sehr froh, denn die Werke der Bauhaus-Künstlerin sind wahrhaftig und genial und verdienen meiner Meinung nach einen Respekt, den sie zu ihren Lebzeiten vielleicht nie erfahren hat.
Erwähnenswert ist außerdem die Tatsache, dass Gunta eine passionierte Bergsteigerin war – ein naturverbundener Mensch. Nicht zuletzt verlagerte sie ihren Lebensmittelpunkt aufgrund politischer Machenschaften am Bauhaus 1931 nach Zürich, wo sie als Migrantin zwar nie wieder eine Anstellung als Meisterin fand, aber dem Weben professionell und bis ins hohe Alter treu blieb. Gunta lebte in Küsnacht, wo auch Carl Gustav Jung mit seinem Institut residierte. (Ob sich die beiden kosmischen Personen kannten: das habe ich allerdings bisher noch nicht herausfinden können.) Sie starb 1983 in Zürich.
Text: Anna Niestroj
Bild- und Datenquelle: guntastolzl.org
Mehr: Gunta Stölzl auf fembio.org